Schokolade macht (nicht) dick

Vor kurzem fand ich mich in einer Situation wieder, die mir oft widerfährt und die hier beispielhaft für ein Thema dient, das ich aufgreifen möchte. 

Auszug aus einem Gespräch mit einer Person, die sich für mein Schokoladen-Tun interessierte — 

Frage der Person an mich: „Und isst du jeden Tag Schokolade?“ 

Meine (höfliche und lächelnde) Antwort: „Ja.“ 

Körpermusternder Blick und ein was ich als eine irgendwie positiv überraschte Feststellung deute: „Wow!“

Einen Wortschwall darüber, dass man keine Körper und auch keine Essverhalten bewerten soll, spare ich mir an dieser Stelle (macht es bitte einfach nicht, und bitte den Nachtrag lesen der sich auf die Verwendung des Begriffs „dick“ bezieht), sondern es soll hier um Folgendes gehen: Schokolade ist in den Verruf eines dickmachenden, ungesunden Lebensmittels geraten ist. Wie kam es dazu und warum stimmt es (nicht)?

Die industrielle Revolution brachte technische Entwicklungen, Einfluss auf unser Verständnis von Freizeit und Auswirkungen auf unser Essverhalten mit sich. Für den Schokoladenkontext gesprochen, gab es ab der Mitte des 19. Jahrhunderts Entwicklungen von diversen Maschinen und Verfahren, die zu vereinfachten Arbeitsprozessen und erhöhtem Produktionsvolumen führten. Diese Industrialisierung hatte auch die Demokratisierung von Schokolade zur Folge, da sie leistbarer und einfach verfügbar wurde. Schokolade wurde von einer zuvor den Eliten vorbehaltenen Delikatesse zum Konsumprodukt, überall und jederzeit und für alle erhältlich. Der „bliss point“ — industriell hergestellte Lebensmittel folgen präzisen Rezepturen, in denen Fett, Zucker und Salz sowie Mundgefühl derartig instrumentalisiert werden, um einen unstillbaren Appetit auszulösen (Veranschaulichungsbeispiele sind die für die meisten Menschen schwer zu kontrollierbare Portionierung einer Tafel Milchschokolade oder Tüte Chips) — wurde ein, wenn nicht der bestimmende Faktor in der Produktion von industrieller Schokolade. Bei Massenschokolade bleibt Qualität auf der Strecke und Profit ist der treibende Faktor. 

Daraus resultiert, dass Schokolade gemeinhin eine Süßigkeit darstellt, und ihr der Ruf als fett- und süchtig-machendes Lebensmittel anhaftet. Bei genauerer Betrachtung hat das aber mit dem Packungsinhalt von Industrieschokolade zu tun, die vorwiegend aus Zucker, Fetten und Zusatz- und Aromastoffen besteht (vor allem weiße und Milchschokolade). Massenschokolade ist auf Profit ausgerichtet, sie besteht aus minderwertig produziertem Kakao und einer problematischen Menge an Zucker und anderen billigen Füllstoffen. Somit kann nicht mehr von einem bewusstem, genüsslichen Konsum von Schokolade gesprochen werden, weil Kakao in den Tafeln eine Nebenrolle spielt. Konsument:innen vertilgen diese Süßwaren en masse und sind mit den körperlichen Konsequenzen konfrontiert. Dass der übermäßige Verzehr von Zucker mit Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten und allerhand mehr in Zusammenhang steht, ist weitläufig bekannt und wissenschaftlich bewiesen.

Als krasse Gegenerzählung hat modernes Marketing eine beachtliche Errungenschaft erreicht, denn Kakao wird auch als — Entschuldigung für dieses Wort — superfood gehuldigt. Ihm wird allerhand gesundheitsfördernde Wirkung auf Körper und Psyche nachgesagt (die Liste umfasst blutdrucksenkend, entzündungshemmend, stimmungsaufhellend, antikanzerogen, etc. etc.). Bis zu einem gewissen Grad mag das richtig sein, Behauptungen von geradezu wundersamer Wirkung von Schokolade sollten jedoch wie bei jedem propagierten Lebensmittel hinterfragt werden. Beispielhaft kann hier ein kleiner Exkurs in die Hintergründe des höchstgelobten Trinkkakaos vorgenommen werden. In Zeiten von instrumentalisiertem Marketing, Social Media als Informationsquelle und omnipräsenten Influencer:innen, die gesundheitsfokussierten Konsument:innen auflauern, ist es sehr einfach, dass sich eine Behauptung verselbstständigt, die auf wenig bis gar keinen Tatsachen basiert. Lebensmittelgiganten sind übrigens gerne gönnerische Geld- und Auftraggeber für Studien, wie zum Beispiel Mars, die seit 20 Jahren an der Beforschung von Flavanolen in Kakao involviert sind. Warum das problematisch sein kann: Ergebnisse von Studien werden für Marketingzwecke eingesetzt und in ein derartig positives Rampenlicht gerückt werden, dass nun auf der anderen Seite der dickmachenden Schokolade steht, dass sie als „health product“ präsentiert wird. Konsument:innen wird vermittelt, dass das Vertilgen einer billigen Tafel Positives für Körper und Geist bewirkt.

In Einzelteile zerlegt bergen die Komponenten einer Tafel Schokolade nichts Besseres oder Böseres als andere Konsumwaren:

Kakaobohnen sind Hauptbestandteil einer hochwertigen Tafel. Sie bestehen zu 40-60% Kakaobutter, sind eine gute Quelle für Ballaststoffe, Mineralien und Magnesium und enthalten wertvolle Polyphenole und Antioxidantien. Kakaobohnen variieren selbstverständlich in ihrer Qualität und es ist überflüssig festzuhalten, dass eine billige Tafel auch aus minderwertigen Rohstoffen, die keinerlei geschmackliche Komplexität aufweisen, gefertigt wurde. 

Zucker tritt in Schokolade als ausgleichender, balancierender Gegenpol zur ausgeprägten Bitterkeit und Astringenz der Kakaobohnen auf und hilft Aromakomponenten hervorzuholen. Zucker in Massenschokolade stellt sich gänzlich anders (und problematisch) dar: er wird verwendet, um überrösteten, verschimmelten oder minderqualitativen Kakao zu kaschieren. Zudem wird er in unverhältnismäßigen (!) Mengen eingesetzt, da er im Vergleich zu Kakaobohnen ein billigerer (wenngleich nicht unproblematischerer) Rohstoff ist und als Füllstoff dient. 

Ein versiertes Auge zu entwickeln für die Verpackungsangaben ist ratsam, denn viele aufschlussreiche Merkmale können hier identifiziert werden. Primär sollten Kakaobohnen gelistet sein, gefolgt von Zucker und Kakaobutter. Eine Qualitätsschokolade enthält keine Emulgatoren, E-Nummern, Vanillin, und andere Unsinnigkeiten. Die Angaben zum Ursprung der Kakaobohnen sind eine Mindestanforderung (diese sollten über eine Landesangabe hinausreichen und im besten Fall ein Gebiet, eine Kooperative oder bestimmte Liegenschaften spezifizieren). 

Man halte Ausschau nach Qualitäts- (Herkunft, Verarbeitung etc.) und Quantitätsmarker (an welcher Stelle taucht der Zucker auf) auf der Verpackung. Man sei sich bewusst, dass Industrieschokolade derartig zusammengesetzt ist, dass sie uns nach möglichst viel davon gieren lässt, während Bean-to-bar Schokolade die Qualität der Kakaobohnen für sich sprechen lässt und zu bewusstem Konsum einlädt. Und man konsumiere ein (oder zwei oder drei, weil es wird nicht verurteilt, gell? — siehe Einleitung) gutes Stück Schokolade, das aus hochwertigen Bohnen, für die ein fairer Preis bezahlt wurde, und die von fachkundigen Schokoladenmacher:innen mit Herzblut geschaffen wurde, mit Hingabe, bewundere die Gaumen- und Sinnesstimulanz und lasse es sich dabei gut gehen. 

Schokolade ist ein Lebensmittel, das für unsere Körper weder als übertrieben gut noch böse zu verstehen ist. 

Als Nachtrag möchte ich diesem Text gerne noch folgendes beifügen: „dick“ ist wird hier als geflügeltes Wort eingesetzt, das mit negativen Assoziationen beladen ist und für den sehr problematischen Umgang mit Körpern von vor allem Menschen in einem westlichen Kulturkreis steht. Ich bin mir bewusst, dass ich diesen Begriff als schlanke Person benutze und ihn hier in einem Kontext betrachte, der nicht näher auf diese Problematiken eingeht. Ich spreche mich deutlich für Körperneutralität aus. Hier muss ich leider einen Punkt machen, weil sonst folgt eine weitere Erörterung.

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Tafelnotiz: Cacao Junajpu Alquimia 87%

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Tafelnotiz: Bonnat Selva Maya 75%