Worüber ich spreche, wenn ich über Tafeln spreche
Nicht jede Schokoladetafel wurde gleich geschaffen. Massenschokolade aus dem Supermarktsortiment von den großen, wohlbekannten Häusern überrascht den Gaumen nicht und hat das wirkliche Handwerk der Schokoladenfertigung und die spannende Aromenvielfalt von Kakao in eine oft übersehene, kaum wahrgenommene kulinarische Ecke verbannt. In dieser Nische tummeln sich jedoch großartige Kakaoproduzent:innen, Schokoladenmacher:innen und Liebhaber:innen von ursprünglichen Genussfreuden.
Schokolade kann auch ernst genommen werden und nicht als bloße süße Nascherei abgetan, sondern als ein Genussmittel verstanden werden. Handwerklich hergestellte Herkunftsschokolade, also reinsortige Tafeln aus spezifischen Anbaugebieten, weist ebensolche mitreißenden Aromen auf wie sie in Naturwein, Gourmetkäse, Craftbier und Spezialitätenkaffee auftauchen.
Jede Tafel hält ihren eigenen Charakter bereit und erzählt von ihrer Herkunft, dem Terroir und Vollendung in der Manufaktur. Es gibt viel zu entdecken - brich dir eine Rippe ab und lass dich darauf ein.
Die Tafeln
Bean-to-bar bezeichnet das Handwerk der Schokoladenmacher:innen, die Tafeln von der Bohne weg fertigen - was im rigorosen Gegenteil zu Massenware steht, die aus Industrieanlagen und von minderqualitativen Rohstoffen stammt.
Die Herstellung einer Schokoladentafel ist ein komplexer, arbeitsaufwändiger Prozess, der bereits am Ursprungsort beginnt. Kakaobohnen werden von Farmer:innen oder in Kooperativen nach dem Ernten unter Argusaugen fermentiert und getrocknet. Hochwertiger, reinsortiger Kakao und die sachkundige Fermentation und Trocknung sind die notwendige Basis für ein komplexes Schokoladenaroma. Direkt gehandelte Ware zwischen Kooperativen und Bean-to-bar-Hersteller:innen reicht über Fair-Trade-Protokolle hinaus und trägt dadurch zu besseren Lebensbedingungen der Farmer:innen bei. In der Schokoladenmanufaktur müssen die Bohnen geröstet werden, um das Aroma weiter zu entwickeln, und von der feinen Hülle, die sie noch umgibt, getrennt werden. Maschinell werden diese dann zu einer flüssigen Masse zermahlen. Im folgenden Conchierprozess wird Zucker (und weitere optionale Zutaten wie Kakaobutter, Milch- oder Fruchtpulver usw.) hinzugefügt und über bis zu 72h wird die cremige Textur der Schkolade durch permanentes Mischen unter Hitzezuführung entwickelt. Die Masse muss danach temperiert (das bedeutet kontrolliertes Erwärmen und Abkühlen) werden, wonach die Schokolade dann endlich in ihre endgültige betörende, vollmundige Tafelform gegossen werden kann.
Gebrauchsanweisung für den freudvollen Umgang mit einer Tafel Schokolade
Das wahre Naschen erfordert alle fünf Sinne.
Das elegante Farbspektrum und die delikate Form, in die die Tafel gegossen wurde, möchte bewundert werden. Sie kann klassischen Vorstellungen von einer Schokoladenrippe entsprechen, oder theatralisch-künstlerisch, ja extravagant daherkommen. Der Farbton kann Überraschungen bereithalten, hellbraun muss tatsächlich keine Milchschokolade sein, und bei fast schwarzen Tafeln muss Acht genommen werden, eine derart dunkle Farbe ist mit gewisser Sicherheit ein Zeichen von minderer Qualität.
Mit kühlen Fingern kann die Oberfläche ertastet werden, nicht schüchtern sein, und das Stück entzwei brechen — und dann dem Knacken lauschen, wenn die Rippe bricht.
Nun beginnt das olfaktorische Vorspiel. Entgegentretende florale, fruchtige oder herbe Aromen können wahrgenommen werden. Man lasse den Geruch von sanften Haselnüssen auf sich wirken, sich von tropischen Noten zu einer gedanklichen Reise entführen. Der Geruchssinn ist ein wesentlicher Beitrag in der Tafelfreude.
Und dann ist der Moment gekommen, wo die Geschmackssinne auf eine Reise gehen. Ablenkungen aller Art sollten vermieden werden. Das Stück liegt nun sanft auf der Zunge. Keine Eile — die Kakaobutter muss durch die Körperwärme schmelzen können, erst dann gibt die Schokolade ihre Aromen preis. Manchmal wird man saftige Rosinen auskosten, dann wieder florale Zitrusfrüchte, oft süße Mandeln, oder Noten von geröstetem Kaffee, sogar frisches Holz, auch herber Tabak, kräftige Oliven oder zarte Muskatnuss.
Das beste am Schokoladekosten ist: je öfter geübt und je vielfältiger die Hersteller und Ursprünge der Bohnen, umso höher die Lernbegeisterung, die (Neu)Entdeckungs(Vor)freude und das Vergnügen.
Vollendeter Schokoladengenuss kann nicht gehetzt werden: man lasse sich betören, bezirzen, necken, verführen, hinreißen.
Und dann kann verstanden werden, wenn ich sage: