Manufakturbesuch: AHERZ Schokolade

Michi Salge von AHERZ Schokolade
Kakao schafft immer eine Gemeinschaft, denn ohne die Hilfe von Anderen geht es nicht.

Das (Schokoladen)Gute liegt oft so nahe vor der (Wiener) Haustür — genauer gesagt in Neu-Pischelsdorf bei Schwechat. Und so bin ich zu Michi Salge von AHERZ Schokolade rausgefahren und durfte mir einen Eindruck von der Manufaktur am Familiengrundstück machen, meine schnüffelnde Nase in Tonnen voller fantastisch riechender, gerösteter Kakaobohnen stecken und mit recht unbeholfen steifen Fingern beim Pralinen formen mithelfen. 

Bei einem Gespräch habe ich Michi näher zu seinen Beweggründen und seinem heutigen und zukünftigen Schaffen befragt. 


Was bedeutet AHERZ?

Es hat weniger mit einem spirituellen Mantra zu tun, AHERZ - oder wie man in Österreich sagt „A Herz“ - ist eine Anspielung auf die nordamerikanische Hopi-Prophezeihung, die vom one-hearted und two-hearted way of life spricht. 

Der letztere bezeichnet eine Welt, die aus dem Gleichgewicht geraten ist, und die von moralischer Korruption und Unruhe bedingt ist. Wohingegen im one-hearted way of life die Natur, Harmonie und Nähe zu ihr und zueinander im Mittelpunkt stehen. Das hat mich auch durch meine Zeit in Mittel- und Südamerika begleitet und das wollte ich in mein Schaffen einfließen lassen.

Warum machst du Schokolade? Welchen Sinn schreibst du deiner Arbeit zu?

Ein Grundaspekt ist, dass ich Kakao und Schokolade entdecken und erfahren durfte. Das hat mit dem, was wir aus dem Supermarkt kennen, in puncto Qualität und Geschmack nichts zu tun. Das kann man regelrecht in sich reinstopfen wegen dem Zucker und weil es ja nicht so viel kostet.. Aber dieses echte Geschmackserlebnis hat mich dazu bewegt, zu Hause meinen Kakao selbst zu machen. Ein weiterer Aspekt ist, mit Leuten verbunden zu sein, die ich auf meiner Reise kennen lernen durfte, und die ich unterstützen möchte, um deren tolle Qualität zu betonen. Ich hab mich immer als europäischen Satelliten bezeichnet zum mittel- und südamerikanischen Zentrum des Kakaos, und durch die Unterstützung hoffe ich, dass vor Ort mehr Wertschöpfung passiert. Das ist nach wie vor ein wichtiges Anliegen. 

Du hast ja eine enge Verbindung zu Nicaragua, richtig?

Auf jeden Fall, ich hab dort mehr als ein halbes Jahr gelebt und hatte eine Familie um mich versammelt. Neben Kolumbien war Nicaragua mein Dreh- und Angelpunkt. Freunde von mir haben dort ein kleines Schokoladenbusiness aufgebaut, vormals Ometepe Cacao, jetzt Oro Chocolate. Ich hab mit ihnen zusammengearbeitet und ihren guten Kakao zu uns gebracht, bevor sie dann weitergezogen sind.

AHERZ Schokolade Manufaktur

Führ uns durch die Genese von AHERZ.

Bevor ich mich weiter in meine technische Karriere in der Gebäudetechnik und erneuerbare Energien vertiefen wollte, wusste ich, dass ich die Chance für eine letzte größere Reise nutzen muss. Ich hatte eine sehr starke Eingebung vor meinem geistigen Auge, die mir sagte nach Südamerika zu gehen und mir dorthin zeigte. Ich beschreibe es gern als Calling, was schräg ist, weil es mich noch nie zu diesem Teil der Erde hingezogen hat. Aber dieses Bild, die Stimme, sagte, ich muss dahin, also habe vorher in Spanien die Sprache gelernt und bin, verrückt wie ich war, mit einem schrägen Kapitän mit dem Boot für drei Monate über den Atlantik gesegelt. In St. Lucia bin ich dann das erste Mal in Verbindung mit Kakao gekommen. In Kolumbien habe ich Esteban Yepes kennengelernt, der sich schon sehr lange mit Kakao und seinen medizinalen, geschichtlichen und spirituellen Wurzeln beschäftigt. Esteban arbeitete zu der Zeit sehr eng mit indigenen Stämmen aus der Sierra Nevada zusammenarbeitet. Mit mehreren Ideen kam ich dann zurück nach Österreich und wollte zuerst etwas mit Fermentationsgetränken machen. Meinen Kakao hab ich mir weiterhin selbst gemacht, und die Leute vor Ort unterstützt. Sehr stark ist es dann mit meinem Vater Bruno gewachsen, den ich gefragt habe, ob er sich vorstellen kann, etwas mit mir aufzubauen. Daraus hat sich dann eine Faszination für Schokolade entwickelt. Ganz typisch haben wir klein angefangen, überlegt wo man Bohnen und Maschinen herbekommt, und immer weiter daran gearbeitet gute Schokolade herzustellen. Am zweiten Bildungsweg hab ich dann einen Konditorlehrgang gemacht. Da lernt man zwar leider sehr wenig über die Kakaoproduktion, aber immerhin kann ich jetzt Cremetorten und Marzipanfiguren machen!

Wer und was hilft dir?

Die Ausbildung davor und mein Weitblick auf Dinge. Auch meine Familie, wie schon erwähnt, hilft mir extrem, da zähle ich aber auch den erweiterten Kreis, nicht nur die Blutsfamilie, dazu — meine Freundin Marzena, die die Illustrationen gemacht hat, meine Schwester Nini, die das Design gemacht hat, und Freunde, die mich unterstützen. Ich bin auch schon lange geprägt von einer Szene, wo es um Selbstgemachtes ging, also Do-it-Yourself und Lösungen, die eine gute Zukunftsgestaltung betreffen. Das prägt auch mein Denken darüber, wie Kakao und Schokolade nachhaltig und zukunftsfähig funktionieren können. Es kann nicht sein, dass wir auf kolonialer Ausbeutung und Plastik, auf Leid und auf Müll, eine Zukunft aufbauen. 

AHERZ Schokolade Manufaktur

Wie hast du deinen Stil gefunden?

Schon von jeher, auch während meines Studiums, war ein zentrales Thema Nachhaltigkeit. Zusätzlich geht es für mich persönlich um Puristisches, wie kann man Schokolade in seiner ursprünglichsten Form für die Leute attraktiv machen. Bezüglich Geschmack der Kreationen ist es dann eher wieder ein Gefühl und die Verbindung zur Bohne, die bestimmt was entsteht. Durch meinen technischen Hintergrund kann ich mich dann gut herantasten und iterieren. Und es geht um Authentizität, ich mag nichts gespieltes, auch das will ich in meine Produkte miteinfließen lassen. Jan Delay sagte es sehr treffend: „Du bist vielleicht ganz schön, aber du bist aus Plastik, und ich versuchs zu übersehen, doch tut mir leid, ich schaffs nicht.“

Hast du eine Lieblingsbohne?

(denkt sehr lange nach) Eigentlich nein. Das ist wie die Frage nach dem Lieblingskind. Jeder Kakao, jedes Aromaprofil, jede Community und jeder Teil der Welt hat eigene Geschmäcker. Aber prägend für mich war sicher mein Aufenthalt in Kolumbiens Regionen Putumayo und Sierra Nevada und da freut es mich natürlich besonders, dass unsere Sierra Nevada-Tafel mit einem Award ausgezeichnet wurde. 

Es gibt keinen veganen Kakao - da sind immer Viecher drinnen.

Was sind die größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung ist, Verzeihung für meine Ausdrucksweise, die Entartung vom Kakaogeschmack der Gesellschaft. Für die Leute ist Schokolade vor allem etwas süßes und günstiges, und da gibt es leider sehr wenig Verständnis für Qualität. Gekauft wird meistens Milchschokolade, auch wenn man eine Auswahl von 4-5 tollen Single Origins vorlegt. Für mich ist auch eine Herausforderung, dass ich keine Ausbildung oder den fachlichen Background außer dem Lehrgang habe. Ich komme zudem aus einer Arbeiterfamilie, das Business-Dasein musste ich erst lernen und verbessere ich bis zum heutigen Tage. Mehr Arbeit bedeutet nicht gleich besseres Geschäft. Wenn ich zum Beispiel auf mehr regionale Märkte fahre, worüber sich die Besucher:innen freuen, fehlt mir am Ende des Tages die Zeit fürs Handwerk. Das ist eine Lernkurve.

Musst du oft den Preis erklären?

Auf jeden Fall. Ich muss den Leuten sogar oft erklären, dass wir die Schokolade selber von der Bohne weg machen, mit allen Maschinen, die es dafür braucht. Die meisten Menschen glauben, dass Konditor:innen die Schokolade anbieten diese auch selber machen, was ja nicht stimmt, wie wir wissen.


Wie siehst du den österreichischen Markt? 

Gut. Der deutschsprachige Markt hat einen sehr hohen per capita Konsum von Schokolade, da sieht man, dass die Nachfrage da ist. Und alles deutet darauf hin, dass es in die Richtung Nachhaltigkeit und Bewusstsein über den eigenen Konsum geht. Du bist was du isst, was will man unterstützen, jeder Kassazettel ist ein Stimmzettel — das stimmt einfach, und mehr und mehr Leute kommen da drauf. 

Was kann helfen mehr Kund:innenbewusstsein zu entwickeln?

Das was du machst: Bildungsarbeit. Es geht nicht darum, eine Connoisseur:innen-Schicht von meinen Produkten zu überzeugen, sondern Leute zu gewinnen, die Schokolade noch nicht in der Art und Weise kennen. Man muss die Menschen erreichen, die etwas besseres und nachhaltigeres wollen.

Was sind die stolzesten Momente?

Dass es immer noch funktioniert. Es ist ja auch nicht einfach, etwas mit der Familie aufzubauen - auf uns bin ich also sehr stolz. Ich will Schokolade gut machen und alle Aspekte - von dort wo geerntet wird bis da wo die Verpackung weggeschmissen wird - miteinbeziehen. Und auch, dass die Schokolade scheinbar gut ankommt in der Fachwelt, bei Connoiseur:innen und Jurys, trotz dem dass ich Quereinsteiger bin und das Fach nicht gelernt habe.


Was sind deine Desert Island-Tafeln?

Auf jeden Fall Sierra Nevada, aber bitte die Bohne, damit ich auch die Möglichkeit habe, die zu verarbeiten. Die O’Tuma- Bohne hat mich so berührt, weil sie so vielfältig und spannend ist. Und etwas fruchtiges! Es ist ja nicht jeder Tag gleich, manchmal braucht man ein bisschen was leichteres zum Ausgleich.


Wann darf Schokolade für dich nicht fehlen?

In der Früh mache ich mir meinen eigenen Kakao, zur Zeit aus den Bohnen von meinen Freunden Izabel und Izaias von Lava Love Guatemala. Und mit einer guten 75%-Tafel. Dann bin ich glücklich. 

Auch Papa Bruno, das Co-Mastermind und der Erbauer von vielen Maschinen, die in der Manufaktur zum Einsatz kommen, und Mama Silvia, die emsig am Verpacken von Haselnüssen war, waren an Ort und Stelle und bekräftigten den familiären Charakter von AHERZ.

Ich habe Michi als eine Person kennengelernt, die seinen Beitrag zur Schokoladenwelt sehr reflektiert und umsichtig umsetzt. Die Frage danach, was er als in der Nordhemisphäre angesiedelter Bean-to-Bar-Produzent Positives beitragen kann, Nachhaltigkeitsaspekte und die Verbesserung der Lebensbedingungen von Kakaofarmer:innen vor Ort sind Themen, die sich wie ein roter Faden durch seine Philosophie ziehen. Vielen Dank für das offene Gespräch!


Michi und seine fleißigen Helfer:innen sind viel auf regionalen Märkten anzutreffen und in der Manufaktur gibt es regelmäßig Workshops und Verkostungen.

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